BGH-Vorlage: Kann der Sortenschutzinhaber den zu ersetzenden Schaden pauschal auf der Grundlage der Gebühr für die Erteilung einer Lizenz für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial berechnen?

BGH-Vorlage: Kann der Sortenschutzinhaber den zu ersetzenden Schaden pauschal auf der Grundlage der Gebühr für die Erteilung einer Lizenz für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial berechnen?

BGH BESCHLUSS Xa ZR 123/09 vom 30. September 2010 – Solara
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV folgende Fragen zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sorten-schutz (Sortenschutzverordnung, GemSortV) und der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaft-lichen Sortenschutz (Nachbauverordnung, GemNachbauV) vorgelegt:
a) Ist die angemessene Vergütung, die ein Landwirt dem Inhaber eines ge-meinschaftlichen Sortenschutzrechts gemäß Art. 94 Abs. 1 GemSortV zu zahlen hat, weil er durch Nachbau gewonnenes Vermehrungsgut einer ge-schützten Sorte genutzt und die in Art. 14 Abs. 3 GemSortV und Art. 8 Gem-NachbauV festgelegten Verpflichtungen nicht erfüllt hat, nach dem Durch-schnittsbetrag der Gebühr zu berechnen, die in demselben Gebiet für die Er-zeugung einer entsprechenden Menge in Lizenz von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorten der betreffenden Pflanzenarten verlangt wird, oder ist stattdessen das (niedrigere) Entgelt zu Grunde zu legen, das im Falle eines
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erlaubten Nachbaus nach Art. 14 Abs. 3 Spiegelstrich 4 GemSortV und Art. 5 GemNachbauV zu entrichten wäre?
b) Falls nur das Entgelt für berechtigten Nachbau zu Grunde zu legen ist: Kann der Sortenschutzinhaber in der genannten Konstellation bei einem einmaligen schuldhaft begangenen Verstoß den ihm gemäß Art. 94 Abs. 2 GemSortV zu ersetzenden Schaden pauschal auf der Grundlage der Gebühr für die Erteilung einer Lizenz für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial berechnen?
c) Ist es zulässig oder sogar geboten, bei der Bemessung der nach Art. 94 Abs. 1 GemSortV geschuldeten angemessenen Vergütung oder des nach Art. 94 Abs. 2 GemSortV geschuldeten weiteren Schadensersatzes einen besonderen Kontrollaufwand einer Organisation, die die Rechte zahlreicher Schutzrechtsinhaber wahrnimmt, in der Weise zu berücksichtigen, dass das Doppelte der üblicherweise vereinbarten Vergütung bzw. des nach Art. 14 Abs. 3 Spiegelstrich 4 GemSortV geschuldeten Entgelts zugesprochen wird?

Der Xa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-lung vom 29. Juli 2010 durch die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Gröning und Dr. Bacher
beschlossen:
2. Das Verfahren wird ausgesetzt.
3. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV folgende Fragen zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (Sor-tenschutzverordnung, GemSortV) und der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Aus-nahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (Nach-bauverordnung, GemNachbauV) vorgelegt:
a) Ist die angemessene Vergütung, die ein Landwirt dem In-haber eines gemeinschaftlichen Sortenschutzrechts ge-mäß Art. 94 Abs. 1 GemSortV zu zahlen hat, weil er durch Nachbau gewonnenes Vermehrungsgut einer geschützten Sorte genutzt und die in Art. 14 Abs. 3 GemSortV und Art. 8 GemNachbauV festgelegten Verpflichtungen nicht erfüllt hat, nach dem Durchschnittsbetrag der Gebühr zu berechnen, die in demselben Gebiet für die Erzeugung ei-ner entsprechenden Menge in Lizenz von Vermehrungs-material der geschützten Sorten der betreffenden Pflan-zenarten verlangt wird, oder ist stattdessen das (niedrige-re) Entgelt zu Grunde zu legen, das im Falle eines erlaub-
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ten Nachbaus nach Art. 14 Abs. 3 Spiegelstrich 4 Gem-SortV und Art. 5 GemNachbauV zu entrichten wäre?
b) Falls nur das Entgelt für berechtigten Nachbau zu Grunde zu legen ist: Kann der Sortenschutzinhaber in der genannten Konstel-lation bei einem einmaligen schuldhaft begangenen Ver-stoß den ihm gemäß Art. 94 Abs. 2 GemSortV zu erset-zenden Schaden pauschal auf der Grundlage der Gebühr für die Erteilung einer Lizenz für die Erzeugung von Ver-mehrungsmaterial berechnen?
c) Ist es zulässig oder sogar geboten, bei der Bemessung der nach Art. 94 Abs. 1 GemSortV geschuldeten ange-messenen Vergütung oder des nach Art. 94 Abs. 2 Gem-SortV geschuldeten weiteren Schadensersatzes einen be-sonderen Kontrollaufwand einer Organisation, die die Rechte zahlreicher Schutzrechtsinhaber wahrnimmt, in der Weise zu berücksichtigen, dass das Doppelte der übli-cherweise vereinbarten Vergütung bzw. des nach Art. 14 Abs. 3 Spiegelstrich 4 GemSortV geschuldeten Entgelts zugesprochen wird?
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Gründe:
I. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen unvollständig gemeldeten (“verhehlten”) Nachbaus von sortengeschützten Pflanzen in Anspruch.
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Die Klägerin nimmt die Rechte der Inhaber der unionsrechtlich geschütz-ten Sorten Kuras, Quarta, Solara und Marabel sowie der nach nationalem Recht geschützten Sorte Secura wahr. Die Beklagten sind Landwirte. Sie haben als Mitglieder einer inzwischen aufgelösten Gesellschaft des bürgerlichen Rechts in den Jahren 2001 bis 2004 mit den genannten Sorten Nachbau betrie-ben. Die Gesellschaft hat der Klägerin hierüber Auskünfte erteilt. Anlässlich ei-ner von der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung ergab sich, dass die tat-sächlichen Mengen hinsichtlich aller genannten Sorten höher waren und zum Teil mehr als das Dreifache der gemeldeten Mengen betrugen. Die Klägerin hat für die Differenzmengen auf der Grundlage der so genannten Z-Gebühr, die für die Erteilung einer Lizenz für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial verlangt wird, einen Schadensersatzanspruch von 4.576,15 Euro errechnet. Die Beklag-ten haben die Hälfte dieses Betrags gezahlt. Dies entspricht dem Entgelt, das bei rechtmäßigem Nachbau auf der Grundlage von Art. 14 GemSortV zu zahlen gewesen wäre. Die Klägerin begehrt die Zahlung des verbleibenden Betrags von 2.288 Euro sowie Ersatz vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 141,05 Euro.
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Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelas-senen Revision streben die Beklagten weiterhin die Abweisung der Klage an. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
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II. Das Berufungsgericht hat seine die erstinstanzliche Verurteilung be-stätigende Entscheidung hinsichtlich der unionsrechtlich geschützten Sorten wie folgt begründet:
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Der Klägerin stehe gegen die Beklagten ein Zahlungsanspruch aus Art. 94 Abs. 1 und 2 GemSortV zu. Die Beklagten hätten eine Sortenschutzverletzung begangen, weil sie ihren Anzeigepflichten gemäß Art. 14 Abs. 3 GemSortV nicht in ordnungsgemäßem Umfang nachgekommen seien. Die deshalb ge-schuldete Entschädigung sei nach der Lizenzanalogie zu bemessen. Maßgeb-lich sei dabei nicht die Nachbaugebühr, sondern die Gebühr für die Erteilung einer Lizenz für die Vermehrung, also die Z-Lizenzgebühr. Eine Beschränkung der Anspruchshöhe auf die Nachbaugebühr führe zu einer nicht zu rechtferti-genden Privilegierung des unredlichen Landwirts. Die Beklagten hätten zudem schuldhaft gehandelt, weshalb der Klägerin auch ein Anspruch auf Schadens-ersatz zustehe.
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III. Die Entscheidung über die Revision hängt hinsichtlich der unions-rechtlich geschützten Sorten von den in der Entscheidungsformel genannten Bestimmungen der Sortenschutzverordnung ab.
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1. Die Klägerin kann wegen Verletzung der Gemeinschaftssorten-schutzrechte gemäß Art. 94 Abs. 1 GemSortV Zahlung einer angemessenen Vergütung und gemäß Art. 94 Abs. 2 GemSortV Ersatz des weiteren Schadens verlangen.
a) Nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. a GemSortV ist die Vermehrung von Erntegut einer geschützten Sorte grundsätzlich nur mit Zustimmung des Sor-tenschutzinhabers zulässig. Nach der Ausnahmeregelung in Art. 14 Abs. 1 GemSortV können Landwirte zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung zu Vemehrungszwecken im Feldanbau in ihrem eigenen Betrieb das Ernte-
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erzeugnis bestimmter, in Art. 14 Abs. 2 GemSortV aufgeführter Sorten verwen-den, das sie in ihrem eigenen Betrieb durch Anbau von Vermehrungsgut ge-wonnen haben, wobei es sich nicht um eine Hybride oder eine synthetische Sorte handeln darf. Gemäß Art. 14 Abs. 3 GemSortV ist diese Ausnahmerege-lung nur wirksam, wenn der Landwirt bestimmte Verpflichtungen einhält, die in der Nachbauverordnung konkretisiert werden.
b) In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist geklärt, dass sich ein Landwirt, der dem Sortenschutzinhaber keine angemessene Entschädigung zahlt, wenn er das durch Nachbau gewonnene Vermehrungsgut einer geschütz-ten Sorte nutzt, nicht auf Art. 14 Abs. 1 GemSortV berufen kann, sondern eine Sortenschutzverletzung begeht und deshalb nach Art. 94 GemSortV auf Unter-lassung, Zahlung einer angemessenen Entschädigung und bei schuldhaftem Handeln auch auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann (EuGH, Urteil vom 10. April 2003 – C-305/00, Slg. 2003 I 3525 = GRUR 2003, 868 Rn. 71 – Christian Schulin gegen Saatgut-Treuhandverwaltungsgesellschaft mbH).
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c) Für den hier zu entscheidenden Fall, dass der Landwirt seinen Aus-kunftspflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, kann nichts anderes gelten.
Die Gesellschaft, für deren Verbindlichkeiten die Beklagten als Gesell-schafter einzustehen haben, hat durch die Erzeugung von Vermehrungsmateri-al Handlungen vorgenommen, die gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. a GemSortV grundsätzlich dem Sortenschutzinhaber vorbehalten sind. Die Ausnahmerege-lung in Art. 14 Abs. 1 GemSortV greift nicht, weil die Gesellschaft die in Art. 14 Abs. 3 Spiegelstrich 6 GemSortV und Art. 8 Abs. 2 Satz 2 Buchst. c GemNach-bauV festgelegte Pflicht, die Menge des Ernteguts anzugeben, nicht ordnungs-gemäß erfüllt hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, bis zu welchem Zeitpunkt
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die Verpflichtung zur Auskunft und zur Zahlung eines angemessenen Entgelts spätestens erfüllt werden muss, um eine Haftung nach Art. 94 GemSortV aus-zuschließen. Im Streitfall sind die Beklagten jedenfalls deshalb zum Schadens-ersatz verpflichtet, weil die Gesellschaft für die in Rede stehenden Zeiträume unzutreffende Angaben gemacht und dadurch ihre Auskunftspflicht hinsichtlich der nicht gemeldeten Mengen verletzt hat. Ohne Rechtsfehler hat das Beru-fungsgericht angenommen, dass diese Pflichtverletzung schuldhaft begangen worden ist.
d) Der damit entstandene Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung und Schadensersatz ist durch die Mitwirkung bei der Betriebsprüfung nicht wieder entfallen. Die Ansprüche aus Art. 94 GemSortV sind nicht allein auf Nachholung der nicht ordnungsgemäß erfolgten Mitwirkungshandlung (hier auf Korrektur der unrichtigen Auskunft) gerichtet. Sie sind deshalb durch die späte-re Korrektur der Angaben – die ohnehin nicht auf Initiative der Beklagten erfolgt ist – nicht weggefallen.
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2. Danach hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Frage ab, wie die nach Art. 94 Abs. 1 GemSortV geschuldete angemessene Vergütung und der nach Art. 94 Abs. 2 GemSortV geschuldete Schadensersatz zu bemes-sen sind.
a) In der Literatur wird aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wo-nach ein Landwirt, der die in Art. 14 Abs. 3 GemSortV festgelegten Pflichten nicht erfüllt, eine Sortenschutzverletzung begeht, zum Teil abgeleitet, dass die angemessene Vergütung anhand des Durchschnittsbetrages der Gebühr zu berechnen sei, die in demselben Gebiet für die Erzeugung einer entsprechen-den Menge in Lizenz von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorten der betreffenden Pflanzenarten verlangt wird (Leßmann/Würtenberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Sortenschutz, 2. Auflage, § 3 Rn. 70; Krieger,
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Der Nachbau von geschützten Pflanzensorten in Deutschland, S. 219). Ergän-zend wird auf die Regelung in Art. 18 Abs. 2 GemNachbauV hingewiesen, nach der bei wiederholten vorsätzlichen Verstößen gegen die Pflicht aus Art. 14 Abs. 3 Spiegelstrich 4 GemSortV mindestens ein Pauschalbetrag in Höhe des Vierfachen der genannten Gebühr als Schadensersatz geschuldet ist. Soweit ersichtlich haben sich alle bislang mit der Frage befassten Instanzgerichte in Deutschland dieser Auffassung angeschlossen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. Oktober 2004 – 2 U 18/04, InstGE 5, 31). Sie wird auch in den Materia-lien zu der Regelung im deutschen Sortenschutzgesetz vertreten, die mit den Bestimmungen über den gemeinschaftlichen Sortenschutz insoweit im Wesent-lichen inhaltsgleich ist (BT-Drucks. 13/7038, S. 14).
b) Nach einer anderen Auffassung führt die Anwendbarkeit von Art. 94 GemSortV nicht dazu, dass ein Verletzer, der die Möglichkeit hat, die Sonder-regelung in Art. 14 GemSortV in Anspruch zu nehmen, und die dafür geltenden Voraussetzungen nicht einhält, in jeder Hinsicht gleich zu behandeln ist wie ein Dritter, der nicht zu dem in Art. 14 Abs. 1 GemSortV genannten Personenkreis gehört. Wenn die Schutzrechtsverletzung lediglich daraus resultiert, dass der Verletzer die in Art. 14 Abs. 3 GemSortV und in der Nachbauverordnung nor-mierten Verhaltenspflichten nicht beachtet hat, soll die nach Art. 94 Abs. 1 GemSortV zu zahlende Vergütung vielmehr anhand des Entgelts zu bemessen sein, das im Falle eines berechtigten Nachbaus geschuldet ist (Keukenschrijver, Festschrift für Eike Ullmann, S. 465, 471; Scharen in: Benkard, Patentgesetz, 10. Auflage, § 9c PatG Rn. 24).
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c) Nach Auffassung des Senats ist die Auslegung von Art. 94 Abs. 1 GemSortV nicht offenkundig. Der Wortlaut der Vorschrift (“angemessene Vergü-tung”) lässt beide Auslegungsmöglichkeiten zu. Die Regelungssystematik, wo-nach der Landwirt bei Verstößen gegen die in Art. 14 Abs. 3 GemSortV fest-gelegten Verpflichtungen eine Sortenschutzverletzung begeht, könnte für die
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zuerst genannte Auffassung sprechen. Das nach Art. 94 Abs. 1 GemSortV ent-scheidende Kriterium der Angemessenheit spricht demgegenüber eher dafür, dem Sortenschutzinhaber nur insoweit einen Ausgleich zuzubilligen, als seine Rechtsposition durch die Pflichtverletzung beeinträchtigt worden ist. Unter die-sem Gesichtspunkt könnte es überzogen erscheinen, die bei einem Verstoß gegen die Pflichten aus Art. 14 Abs. 3 GemSortV geschuldete Vergütung nach denselben Maßstäben zu bestimmen wie die Vergütung bei unerlaubter Vor-nahme von Handlungen, die stets der Zustimmung des Sortenschutzinhabers bedürfen. Dies könnte dafür sprechen, bei der Bemessung der angemessenen Vergütung zu berücksichtigen, ob ein Verletzer die Möglichkeit hat, die Sonder-regelung in Art. 14 GemSortV in Anspruch zu nehmen, und die Schutzrechts-verletzung lediglich daraus resultiert, dass er die dafür maßgeblichen Verhal-tenspflichten nicht beachtet hat.
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Die Erwägung, die Bemessung der angemessenen Vergütung anhand des nach § 14 Abs. 3 Spiegelstrich 4 GemSortV und Art. 5 GemNachbauV ohnehin geschuldeten Entgelts könnte für potentielle Verletzer einen Anreiz bilden, ihren Pflichten aus Art. 14 Abs. 3 GemSortV nicht oder unzureichend nachzukom-men, führt nicht zwingend zu einer abweichenden Beurteilung. Die angemesse-ne Vergütung gemäß Art. 94 Abs. 1 GemSortV wird auch bei nicht schuldhaften Verletzungshandlungen geschuldet. Dies spricht eher dagegen, sonstige Ziel-setzungen, insbesondere die Erzielung einer Straf- oder Abschreckungswir-kung, bei der Bemessung dieser Vergütung zu berücksichtigen.
3. Sofern die angemessene Vergütung gemäß Art. 94 Abs. 1 GemSortV anhand des Entgelts für rechtmäßigen Nachbau zu bemessen ist, stellt sich die Anschlussfrage, ob der Sortenschutzinhaber den nach Art. 94 Abs. 2 GemSortV zu ersetzenden weiteren Schaden in der Weise berechnen darf, dass er pau-schal die höhere Vergütung für die Erteilung einer Lizenz für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial ansetzt.
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a) Nach Art. 94 Abs. 2 GemSortV hat der Verletzer dem Sortenschutz-inhaber im Falle eines schuldhaften Verstoßes auch den weiteren aus der Ver-letzung entstandenen Schaden zu ersetzen. Dazu gehören alle Schäden, die über den Entgang einer angemessenen Vergütung, die schon nach Art. 94 Abs. 1 GemSortV zu ersetzen ist, hinausgehen. Solche Schäden hat die Kläge-rin im vorliegenden Rechtsstreit – abgesehen von vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten – nicht geltend gemacht.
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b) Art. 94 Abs. 2 GemSortV könnte auch dahin auszulegen sein, dass der Sortenschutzinhaber bei schuldhaftem Handeln des nachbauenden Land-wirts seinen Schaden pauschal auf der Grundlage der üblichen Gebühr für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial in Lizenz berechnen darf.
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(1) Nach der ständigen Rechtsprechung der deutschen Gerichte kann der wegen Verletzung eines Immaterialgüterrechts zu ersetzende Schaden auf drei unterschiedliche Arten ermittelt werden. Der Geschädigte kann den Scha-den anhand der ihm konkret entstandenen Vermögenseinbußen berechnen. Alternativ kann er den Schaden anhand des vom Verletzer erzielten Gewinns oder anhand einer angemessenen Lizenzgebühr ermitteln. Nach der Recht-sprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich hierbei nicht um verschie-dene Ansprüche mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen. Es geht vielmehr nur um Variationen bei der Ermittlung des gleichen einheitlichen Schadens (BGH, Urteil vom 25. September 2007 – X ZR 60/06, BGHZ 173, 374 Rn. 7 – Zerkleine-rungsvorrichtung), oder genauer formuliert, um unterschiedliche Methoden zur Ermittlung eines zur Kompensation des Schadens des Schutzrechtsinhabers angemessenen und erforderlichen Betrags (Melullis, GRUR Int. 2008, 679, 682). Der zu ersetzende Schaden liegt bereits in der Beeinträchtigung des ab-soluten Rechts und der mit diesem verbundenen, allein dem Inhaber zugewie-senen Nutzungsmöglichkeiten (BGHZ 173, 374 Rn. 16 – Zerkleinerungsvorrich-tung; BGH, Urteil vom 14. Mai 2009 – I ZR 98/06, BGHZ 181, 98 Rn. 69 – Tripp-
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Trapp-Stuhl; Melullis, GRUR Int. 2008, 679, 682; v. Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 460, 462).
(2) Dies steht in Einklang mit der – im Streitfall noch nicht anwendbaren – Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. EU L 195 S. 16; im Folgenden: Richtlinie).
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Die Richtlinie dient dem Zweck, die innerstaatlichen Vorschriften über Schadensersatz und weitere Sanktionen bei der Verletzung von Immaterialgü-terrechten zu vereinheitlichen. Dieser Zweck legt es nach Auffassung des Se-nats nahe, die in der Richtlinie normierten Grundsätze auch bei der Auslegung der Sortenschutzverordnung zu berücksichtigen, in deren Anwendungsbereich ein Rückgriff auf innerstaatliches Recht gemäß Art. 93 und Art. 97 Abs. 3 Gem-SortV grundsätzlich ausgeschlossen ist.
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Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie haben die Gerichte bei der Fest-setzung des Schadensersatzes alle in Frage kommenden Aspekte zu berück-sichtigen, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Ge-winne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirt-schaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber. Stattdessen können sie in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pau-schalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindes-tens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geis-tigen Eigentums eingeholt hätte.
c) Auch wenn danach viel dafür spricht, dass der Sortenschutzinhaber den ihm nach Art. 94 Abs. 2 GemSortV zu ersetzenden Schaden auf der Grund-
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lage einer angemessenen Lizenzgebühr berechnen darf, folgt daraus im vorlie-genden Zusammenhang nicht zwingend, dass als Maßstab für diese Berech-nung die übliche Gebühr für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial in Lizenz heranzuziehen ist.
Zwar ist die als Schadensausgleich zu zahlende Lizenzgebühr nach Auf-fassung des Senats aus den oben genannten Gründen so zu bemessen, dass sie den Wert der Nutzung des verletzten Immaterialgüterrechts widerspiegelt. Zu den Faktoren, die für den Wert eines Gemeinschaftssortenschutzrechts be-stimmend sind, könnte aber auch der Umstand gehören, dass der Inhaber – an-ders als bei anderen Immaterialgüterrechten – nicht jede Benutzungshandlung untersagen darf, sondern ein bestimmter Personenkreis unter den in Art. 14 GemSortV und der Nachbauverordnung festgelegten Voraussetzungen befugt ist, das Ernteerzeugnis im eigenen Betrieb zu verwenden, und hierfür lediglich eine Entschädigung zu zahlen hat, die deutlich unter der Gebühr liegt, die Dritte für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial in Lizenz zu zahlen haben. Daraus könnte zu folgern sein, dass diese niedrigere Entschädigung auch bei der Schadensberechnung im Wege der Lizenzanalogie zu Grunde zu legen ist, so-fern die Schutzrechtsverletzung darin besteht, dass die in Art. 14 GemSortV und der Nachbauverordnung normierten Pflichten nicht eingehalten worden sind.
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d) Ein Anspruch auf Schadensersatz auf der Grundlage der Gebühr für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial kann auch nicht offenkundig aus Art. 18 Abs. 2 GemNachbauV hergeleitet werden.
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Nach dieser Bestimmung ist ein Landwirt, der im Hinblick auf eine oder mehrere Sorten desselben Sortenschutzinhabers wiederholt vorsätzlich die Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Nachbauentschädigung verletzt, zum Ersatz des weiteren Schadens gemäß Art. 94 Abs. 2 GemSortV verpflichtet.
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Hierbei schuldet er mindestens einen Pauschalbetrag, der auf der Grundlage des Vierfachen des Durchschnittsbetrages der Gebühr berechnet wird, die in demselben Gebiet für die Erzeugung einer entsprechenden Menge in Lizenz von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorten der betreffenden Pflanzen-arten verlangt wird.
Dies könnte dafür sprechen, dass bei der Bemessung des nach Art. 94 Abs. 2 GemSortV zu ersetzenden weiteren Schadens auch außerhalb des An-wendungsbereichs von Art. 18 Abs. 2 GemNachbauV nicht nur der Ausgleich erlittener Vermögenseinbußen, sondern auch andere Zielsetzungen, insbeson-dere eine Bestrafung oder Abschreckung, von Bedeutung sind.
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Dagegen könnte aber sprechen, dass die Berücksichtigung solcher Zwe-cke in Art. 18 Abs. 2 GemNachbauV nur für einen eng begrenzten Ausnahme-fall vorgesehen ist, während Art. 94 Abs. 2 GemSortV für alle übrigen Konstella-tionen entsprechende Sanktionen gerade nicht vorsieht.
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4. Im Zusammenhang mit Art. 94 Abs. 1 und 2 GemSortV wird ferner die Auffassung vertreten, eine Organisation, die im Auftrag zahlreicher Inhaber von Sortenschutzrechten Rechtsverletzungen verfolgt und die Rechte der Inha-ber wahrnimmt, könne im Falle einer Rechtsverletzung als Ersatz für den ihr entstehenden Kontroll- und Überwachungsaufwand pauschal einen Zuschlag von 100 % des von einem vertragstreuen Lizenznehmer zu zahlenden Betrages verlangen (Krieger, Der Nachbau von geschützten Pflanzensorten in Deutsch-land, S. 231 ff.). Diese Auffassung knüpft an die Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs zur Verletzung von Aufführungsrechten an. In diesem Bereich bil-ligt der Bundesgerichtshof seit langem der Verwertungsgesellschaft, die solche Rechtsverstöße verfolgt, einen so genannten Verletzerzuschlag von 100% der üblichen Lizenzgebühr zu. Ausschlaggebend für die Zubilligung dieses Zu-schlages ist der Umstand, dass Verletzungen der betreffenden Rechte nur mit
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ungewöhnlich hohem Aufwand aufgedeckt werden können. Charakteristisch dafür ist zum einen, dass einschlägige Rechtsverletzungen in unübersehbarem Umfang an verschiedenen Orten gleichzeitig stattfinden können (BGH, Urteil vom 22. Januar 1986 – I ZR 194/83, BGHZ 97, 37, 50 f. – Filmmusik), zum ande-ren, dass die Verletzungshandlung (die Wiedergabe eines urheberrechtlich ge-schützten Werks) nicht in einem bestimmten Gegenstand verkörpert ist (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1987 – I ZR 96/85, GRUR 1988, 296, 299 – Gema-Ver-mutung IV).
Eine Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Zusammenhang kommt nach Auffassung des Senats kaum in Betracht. Dabei kann offenbleiben, ob die Ermittlung von Verstößen gegen die Pflichten aus Art. 14 Abs. 3 Gem-SortV einen vergleichbaren Aufwand erfordert. Es fehlt schon deshalb an einer vergleichbaren Interessenlage, weil eine unerlaubte Nachbauhandlung typi-scherweise in materiellen Gegenständen verkörpert ist. Der Senat hält aber
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auch die Beantwortung dieser Frage für nicht offenkundig, zumal Art. 18 Abs. 2 GemNachbauV für einen – hier nicht einschlägigen Sonderfall – eine vergleich-bare Regelung vorsieht, nach der der Sortenschutzinhaber sogar das Vierfache der sonst üblichen Gebühr verlangen kann.

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