Patentnichtigkeit des Apple-Patents betreffend die Entsperrung durch Wischen von Motorola durchgesetzt

Patentnichtigkeit des Apple-Patents betreffend die Entsperrung durch Wischen von Motorola durchgesetzt

a) Bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit bleiben Anweisungen, die die Vermittlung bestimmter Inhalte betreffen und damit darauf zielen, auf die menschliche Vorstellung oder Verstandesfähigkeit einzuwirken, als solche außer Betracht. Anweisungen, die Informationen betreffen, die nach der er-findungsgemäßen Lehre wiedergegeben werden sollen, können die Patent-fähigkeit unter dem Gesichtspunkt der erfinderischen Tätigkeit nur insoweit stützen, als sie die Lösung eines technischen Problems mit technischen Mit-teln bestimmen oder zumindest beeinflussen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 26. Oktober 2010 X ZR 47/07, GRUR 2011, 125 Wiedergabe topo-grafischer Informationen; Urteil vom 26. Februar 2015 X ZR 37/13, GRUR 2015, 660 Bildstrom).

b) Informationsbezogene Merkmale eines Patentanspruchs sind darauf hin zu untersuchen, ob die wiederzugebende Information sich zugleich als Ausfüh-rungsform eines im Patentanspruch nicht schon anderweitig als solches angegebenen technischen Lösungsmittels darstellt. In einem solchen Fall ist das technische Lösungsmittel bei der Prüfung auf Patentfähigkeit zu be-rücksichtigen.

BGH URTEIL X ZR 110/13 vom 25. August 2015 – Entsperrbild (Apple IPhone)

EPÜ Art. 52 Abs. 2 Buchst. d, Art. 56; PatG § 1 Abs. 3 Nr. 4, § 4

BGH, Urteil vom 25. August 2015 – X ZR 110/13 – Bundespatentgericht
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-handlung vom 25. August 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski, Hoffmann und die Richterin Dr. Kober-Dehm
für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 4. April 2013 verkünde-te Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentge-richts wird zurückgewiesen.
Die im zweiten Rechtszug entstandenen Gerichtskosten werden zu einem Viertel der Klägerin zu 2 und zu drei Vierteln der Beklag-ten auferlegt, die auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1 zu tragen hat.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Beklagte ist Inhaberin des unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom 23. Dezember 2005 am 30. November 2006 an-gemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 964 022 (Streitpatents). Das Streitpatent betrifft ein computerimplementiertes Verfahren, eine tragbare elektronische Vorrichtung und ein Computerprogrammprodukt. Die Patentansprüche 1, 6 und 18 haben in der Verfahrenssprache folgenden Wortlaut:
“1. A computer-implemented method of controlling a portable electronic device (400, 1000) comprising a touch-sensitive display (408, 1014), comprising:
detecting (308, 908) contact with the touch-sensitive display (408, 1014) while the device is in a user-interface lock state;
transitioning (314, 914) the device (400, 1000) to a user-interface unlock state if the detected contact corresponds to a predefined gesture;
and
maintaining (312, 912) the device (400, 1000) in the user-interface lock state if the detected contact does not corre-spond to the predefined gesture;
characterized by
moving an unlock image (402, 1002, 1008) along a predefined displayed path on the touch sensitive display (408, 1014) in accordance with the contact, wherein the unlock image (402, 1002, 1008) is a graphical, interactive user-interface object with which a user interacts in order to unlock the device (400, 1000).
6. A portable electronic device (100, 400, 1000), comprising:
a touch-sensitive display (126, 408, 1014);
one or more processors (106);
memory (102);
and
one or more programs (132 to 146), wherein the one or more programs (132 to 146) are stored in the memory (102) and
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configured to be executed by the one or more processors (106), the programs (132 to 146) including instructions for:
detecting (308, 908) contact with the touch-sensitive display (126, 408, 1014) while the device (100, 400, 1000) is in a us-er-interface lock state;
transitioning (314, 914) the device (100, 400, 1000) to a user-interface unlock state if the detected contact corresponds to a predefined gesture;
and
maintaining (312, 912) the device (100, 400, 1000) in the user-interface lock state if the detected contact does not corre-spond to the predefined gesture;
characterized in that
the programs (132 to 146) further include instructions for mov-ing an unlock image (402, 1002, 1008) along a predefined dis-played path on the touch-sensitive display (126, 408, 1014) in accordance with the contact,
wherein the unlock image (402, 1002, 1008) is a graphical, in-teractive user-interface object with which a user interacts in order to unlock the device (100, 400, 1000).
18. A computer program product with instructions configured for execution by one or more processors (106), which when exe-cuted by a portable electronic device (100, 400, 1000) with a touch-sensitive display (126, 408, 1014), cause the device (100, 400, 1000) to perform the method of any of claims 1 to 5.”
Die Patentansprüche 2 bis 5 sind unmittelbar oder mittelbar auf Pa-tentanspruch 1, die Patentansprüche 7 bis 17 auf Patentanspruch 6 rückbezo-gen.
Die Klägerinnen haben geltend gemacht, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig sei, dieses die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und der Ge-genstand des Streitpatents über den Inhalt der Anmeldung hinausgehe. Die Beklagte hat das Streitpatent im Hauptantrag in der erteilten Fassung sowie mit vierzehn Hilfsanträgen beschränkt verteidigt.
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Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Streitpatent weiterhin in der erteilten Fassung sowie mit den erstinstanzlich gestellten Hilfsanträgen vertei-digt. Die Klägerin zu 1 (im Folgenden auch: die Klägerin) tritt dem Rechtsmittel entgegen; die Klägerin zu 2 hat die Klage in der Berufungsinstanz zurückge-nommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.
I. Das Streitpatent betrifft das Entsperren einer tragbaren elektroni-schen Vorrichtung wie eines Mobiltelefons mit einem berührungsempfindlichen Bildschirm durch Ausführen von (Finger-)Bewegungen (“Gesten”) auf der Bild-schirmoberfläche.
1. In der Beschreibung wird ausgeführt, berührungsempfindliche Bild-schirme (auch Touchscreens genannt) würden bei vielen elektronischen Vor-richtungen verwendet, um Grafik und Text anzuzeigen und eine Benutzer-schnittstelle bereitzustellen (Abs. 2). Seien die Geräte tragbar, könnten jedoch durch Kontakt mit dem Berührungsbildschirm Funktionen unbeabsichtigt akti-viert oder deaktiviert werden. Um dies zu verhindern, sei es möglich, die Vor-richtung manuell oder nach einer vorgegebenen Leerlaufzeit automatisch zu sperren (Abs. 3). Die Entsperrung könne durch die Eingabe eines Passwortes oder das Drücken einer vorgegebenen Tastenfolge erfolgen. Aus der internatio-nalen Patentanmeldung 2004/0011560 (E6) sei zudem das Entsperren eines
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Berührungsbildschirms durch den Kontakt mit bestimmten Bildschirmbereichen in bestimmter Reihenfolge bekannt. Diese Entsperrverfahren seien jedoch für den Benutzer unbequem, weil er sich an die vorgegebene (Tasten-)Reihenfolge oder ein Passwort erinnern müsse (Abs. 4).
2. Dem Streitpatent liegt danach das Problem zugrunde, das Entsper-ren des Berührungsbildschirms einer tragbaren elektronischen Vorrichtung be-nutzerfreundlicher zu gestalten. Hingegen gehört die Angabe, es sei wün-schenswert, dem Benutzer eine sensorische Rückmeldung zu geben (Abs. 5), die das Patentgericht zur Aufgabe gerechnet hat, schon zu der erfindungsge-mäßen Lösung.
3. Diese besteht nach Patentanspruch 1 in einem Verfahren, das im Wesentlichen mit dem angefochtenen Urteil und unter Beibehaltung seiner Nummerierung wie folgt gegliedert werden kann:
1. Es handelt sich um ein computerimplementiertes Verfahren zur Steuerung einer tragbaren elektronischen Vorrichtung mit einem berührungsempfindlichen Bildschirm durch folgende Maßnahmen:
2. Detektieren eines Kontaktes mit dem Bildschirm, während sich die Vorrichtung in einem Zustand befindet, in dem eine Benutzerschnittstelle gesperrt ist;
3. Überführen der Vorrichtung in einen entsperrten Zustand der Benutzerschnittstelle, wenn der detektierte Kontakt einer vorgegebenen (Finger-)Bewegung entspricht (corresponds to a predefined gesture);
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4. Beibehalten des gesperrten Zustands der Benutzerschnitt-stelle, wenn der detektierte Kontakt nicht der vorgegebenen Bewegung entspricht;
5.1 Bewegen eines Entsperrbilds (unlock image)
5.2 entlang eines vorgegebenen angezeigten Pfads auf dem Bildschirm,
5.3 im Einklang mit dem Kontakt,
5.4 wobei das Entsperrbild ein grafisches interaktives Be-nutzerschnittstellenobjekt (graphical, interactive user-interface object) ist,
5.5 mit dem der Benutzer zur Entsperrung der Vorrichtung interagiert.
4. Das erfindungsgemäße Verfahren ist mithin dadurch gekennzeich-net, dass der Benutzer das Gerät (die Benutzerschnittstelle) durch eine vorge-gebene Fingerbewegung über die berührungsempfindliche Bildschirmoberflä-che (oder mittels eines geeigneten Stiftes oder anderen Werkzeugs) entsperren kann, während das Gerät gesperrt bleibt, wenn die Bewegung nicht den ge-speicherten Vorgaben entspricht. Der Kontaktbewegung entspricht ein ebenfalls vorgegebener Pfad, auf dem sich ein Entsperrbild, dessen Ausgestaltung das Streitpatent dem Fachmann überlässt im Einklang mit dem Kontakt auf dem Bildschirm bewegt.
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Die Erläuterungen dieser Lehre, die das Patentgericht gegeben hat, las-sen keinen Rechtsfehler erkennen und werden auch von der Berufung nicht angegriffen.
Das Patentgericht hat zu den Merkmalen 5.4 und 5.5 ausgeführt, von Bedeutung sei erfindungsgemäß allein, dass das Entsperrbild entlang eines vordefinierten Pfads durch Berührung “verschiebbar” sei. Dies ergebe sich je-doch bereits aus den Merkmalen 5.1 bis 5.3, so dass den Merkmalen 5.4 und 5.5 keine zusätzliche Bedeutung zukomme; sie stellten eine “Überbestimmung” dar. Auch dies wird von der Berufung zu Recht nicht angegriffen. Die in den Merkmalen 5.4 und 5.5 angesprochene Interaktion des Benutzerschnittstellen-objekts (Entsperrbildes) mit dem Benutzer beschränkt sich darauf, dass das Entsperrbild durch seine Bewegung entlang des vorgegebenen Pfads den Steuerungsvorgang mit einer grafischen Darstellung optisch kenntlich macht, den der Benutzer durch die Fingerbewegung auf dem berührungsempfindlichen Bildschirm bewirkt.
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderi-schen Tätigkeit. Die Merkmale 1 bis 4 ergäben sich für den Fachmann, bei dem es sich um einen berufserfahrenen Entwicklungsingenieur für Benutzerschnitt-stellen mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluss in der Datenverarbei-tungstechnik oder Informatik handele, aus der Entgegenhaltung “N1 Quick Start Guide, Version 0.5” (E14). Das darin beschriebene Mobiltelefon Neonode N1 besitze einen berührungsempfindlichen Bildschirm und kenne einen “gesperrten Zustand” der Benutzerschnittstelle. Zum Entsperren sei zunächst ein “power button” zu betätigen. Daraufhin erscheine der Hinweis “Right sweep to unlock”.
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Handele der Benutzer entsprechend, wodurch er eine “vordefinierte Geste” im Sinne des Streitpatents ausführe, werde der Bildschirm entsperrt. Werde die Wischbewegung nicht erkannt, werde das zugehörige Menu nicht angezeigt und damit die zugeordnete Aktion nicht durchgeführt.
Die Entgegenhaltung offenbare zwar nicht wie in der Merkmalsgruppe 5 vorgesehen einen vordefinierten Pfad, dem der Benutzer mit dem Finger fol-gen könne. Es sei auch kein “Entsperrbild” vorgesehen, das im Sinne eines gra-fischen interaktiven Benutzerschnittstellenobjektes mitbewegt werde. Die Merkmalsgruppe 5 sei jedoch bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen, weil sie keine Anweisungen enthalte, die die Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmten oder beeinflussten. Das Signalisieren des Ablaufs des Entsperrvorgangs durch das (Mit-)Bewegen des Entsperrbildes entsprechend den Merkmalen 5.1 und 5.3 richte sich allein an den Benutzer. Das Gerät selbst und seine technische Funktion würden nicht beeinflusst. Vielmehr werde lediglich eine Information grafisch dargestellt. Der Benutzer erhalte ein “optisches Feedback”, dass der Beginn einer Entsperr-bewegung vom Gerät erkannt worden sei und deren weitere Ausführung ver-folgt werde. Einer solchen Maßnahme lägen keine auf technischen Überlegun-gen beruhenden Erkenntnisse zugrunde. Dass entsprechend den Merkmalen 5.2, 5.4 und 5.5 ein Pfad (vollständig) angezeigt und ein grafisches interakti-ves Benutzerschnittstellenobjekt mit dem über die Berührungsoberfläche ge-führten Finger mitgeführt werde, orientiere sich allein an einer an die Auffas-sungsgabe des Benutzers besonders angepassten Darstellung, erziele jedoch ebenfalls keine technische Wirkung.
III. Dies hält der berufungsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
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1. Allerdings erfasst das Patentgericht die erfindungsgemäßen techni-schen Lösungsmittel nicht vollständig, wenn es der Merkmalsgruppe 5 insge-samt jede Bedeutung für die Lösung eines technischen Problems abspricht.
a) Der Ausgangspunkt des Patentgerichts ist zutreffend. Um dem Pa-tentierungsausschluss nach Art. 52 Abs. 2 Buchst. d, Abs. 3 EPÜ angemessen Rechnung zu tragen, bleiben im Patentanspruch enthaltene Anweisungen, die die Vermittlung bestimmter Inhalte betreffen und damit darauf zielen, auf die menschliche Vorstellung oder Verstandesfähigkeit einzuwirken, als solche ebenso außer Betracht wie Anweisungen, die dahingehen, eine Datenverarbei-tungsanlage in bestimmter Weise zu programmieren (Art. 52 Abs. 2 Buchst. c EPÜ). Anweisungen, die Informationen betreffen, die nach der erfindungsge-mäßen Lehre wiedergegeben werden sollen, können die Patentfähigkeit unter dem Gesichtspunkt der erfinderischen Tätigkeit nur insoweit stützen, als sie die Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2010 X ZR 47/07, GRUR 2011, 125 Wiedergabe topografischer Informationen; Urteil vom 23. April 2013 X ZR 27/12, GRUR 2013, 909 Rn. 14 Fahrzeugnavigations-system; Urteil vom 26. Februar 2015 X ZR 37/13, GRUR 2015, 660 Rn. 32 f. Bildstrom). Das Kriterium, dass solche Anweisungen insoweit zu beachten sind, als sie die Lösung eines technischen Problems jedenfalls beeinflussen, erfordert indessen, dass informationsbezogene Merkmale eines Patentan-spruchs daraufhin zu untersuchen sind, ob die wiederzugebende Information sich zugleich als Ausführungsform eines im Patentanspruch nicht schon an-derweitig als solches angegebenen technischen Lösungsmittels darstellt. In einem solchen Fall ist das technische Lösungsmittel bei der Prüfung auf Patent-fähigkeit zu berücksichtigen. Denn es wäre nicht zu rechtfertigen, die techni-schen Wirkungen der Informationswiedergabe nur deshalb nicht in die Prüfung
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auf erfinderische Tätigkeit einzubeziehen, weil sie im Patentanspruch nur in Gestalt der Wiedergabe einer bestimmten Information beansprucht werden.
b) Dem hat das Patentgericht nicht ausreichend Rechnung getragen.
Mit der Vorgabe, ein Entsperrbild “im Einklang mit dem Kontakt” entlang eines vorgegebenen angezeigten Pfads auf dem Bildschirm zu bewegen (Merkmale 5.1 bis 5.3), lehrt das Streitpatent, dem Benutzer die Steuerungsbe-wegung zur Entsperrung von Funktionen des Geräts, die er dadurch vollzieht, dass er eine bestimmte Bewegung auf dem berührungsempfindlichen Bild-schirm ausführt, dadurch optisch anzuzeigen, dass ein auf dem Bildschirm an-gezeigtes Symbol seinerseits eine korrespondierende (nicht notwendig identi-sche) Bewegung ausführt. Der Patentanspruch lehrt damit, dem Benutzer op-tisch anzuzeigen, dass er dem Rechner mit der Bewegung einen Befehl gege-ben hat, der die Entsperrung bewirken kann, und sie tatsächlich bewirkt, wenn die Bewegung des Benutzers den (Mindest-)Anforderungen an die vorgegebe-ne (Finger-)Bewegung entspricht. Der in der Fingerbewegung liegende Steuer-befehl soll mit anderen Worten nicht nur die Entsperrung, sondern auch eine den Befehl und den Fortgang seiner Ausführung symbolisierende Anzeige aus-lösen. Dies ist eine technische Lösung des technischen Problems, dem Benut-zer den Entsperrvorgang optisch kenntlich zu machen und damit die Bedie-nungssicherheit zu erhöhen.
Hingegen betrifft die Anweisung, diese Anzeige als Bewegung eines Ent-sperrbildes entlang eines angezeigten Pfades auf dem Bildschirm auszuführen, die inhaltliche Ausgestaltung der mit graphischen Mitteln gegebenen Informati-on. Die Bewegung des Entsperrbildes imitiert die Steuerbewegung des Nutzers und macht damit die Einleitung und den Fortgang (oder den Abbruch) der durch diese bewirkten Entsperrung besonders anschaulich. Damit wird aber allein
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dem menschlichen Vorstellungsvermögen Rechnung getragen, weswegen das Patentgericht zu Recht in Anführungszeichen von einem Verschieben des Ent-sperrbildes gesprochen und der in den Merkmalen 5.4 und 5.5. angesproche-nen Interaktivität keinen über die Merkmale 5.1 bis 5.3 hinausgehenden Inhalt beigemessen hat.
2. Aus dem Vorstehenden folgt, dass die vom Patentgericht gegebene Begründung nicht ausreicht, um den Gegenstand des Patentanspruchs 1 als nahegelegt anzusehen. Denn das in der Entgegenhaltung E14 beschriebene Mobiltelefon Neonode N1 zeigt dem Benutzer zwar an, welche Fingerbewegung er ausführen muss, um das Telefon zu entsperren, es zeigt jedoch nicht den Beginn und den Fortgang der Ausführung des Entsperrbefehls an. Vielmehr wird er dazu angeleitet, die Fingerbewegung zur Eingabe des Entsperrbefehls noch einmal auszuführen, wenn ein vorheriger Versuch fehlgeschlagen ist (E14, 11 unter 3).
3. Zu Recht macht jedoch die Klägerin geltend, dass der Fachmann durch den Stand der Technik dazu angeregt worden ist, die Wiedergabe der Aufforderung zur Ausführung des Entsperrbefehls durch eine optische Anzeige der Ausführung dieses Befehls zu ergänzen.
a) Ohne Erfolg rügt die Berufung die Annahme des Patentgerichts als unzutreffend, angesprochener Fachmann sei ein berufserfahrener Entwick-lungsingenieur für Benutzerschnittstellen mit Hochschul- oder Fachhochschul-abschluss in der Datenverarbeitungstechnik oder Informatik. Eine tatsächliche Grundlage für eine Beschränkung des Tätigkeitsfelds des Fachmanns auf Mo-bilgeräte ist weder festgestellt noch erst- oder zweitinstanzlich vorgetragen. Im Übrigen könnte eine Spezialisierung des Fachmanns auf tragbare Geräte auch
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nicht begründen, dass er Stand der Technik, der Benutzerschnittstellen für nicht-tragbare Geräte betrifft, nicht zur Kenntnis nähme.
b) Die als Entgegenhaltung E7 vorgelegte Abhandlung “Touchscreen Toggle Design” von Plaisant und Wallace beschreibt ein im Mai 1992 auf einer Konferenz vorgeführtes Video, das sich mit verschiedenen, für einen berüh-rungsempfindlichen Bildschirm geeigneten virtuellen Schaltern zum Ein- und Ausschalten von Geräten befasst. Die Autoren erörtern einleitend, dass solche Schalter “sehr verwirrend” sein könnten und dass die dem Programmierer zur Verfügung stehende gestalterische Freiheit “zu einer Fülle unbrauchbarer Schalterdesigns” geführt habe, bei denen die Erfahrungen ignoriert würden, die beim Design herkömmlicher Bedienelemente gewonnen wurden. Sie zeigen in der Folge mögliche geeignete Schalterausführungen, unter anderem einen (praktisch dem Ausführungsbeispiel des Streitpatents entsprechenden) virtuel-len Schiebeschalter (“slider toggle”), bei dem der Benutzer durch eine entspre-chende Bewegung einen Zeiger von einem Ende zum anderen einer dargestell-ten Strecke “zieht” (“The user can then grab the pointer and slide it to the other side.”) und damit einen Steuerbefehl zum Ein- oder Ausschalten eines Geräts gibt. Wird der Finger vom Bildschirm genommen, bevor das Ende der Strecke erreicht ist, springt der Zeiger in seine Ausgangposition zurück; er bewegt sich mithin “im Einklang” mit dem Kontakt.
Der Fachmann erhält hieraus zum einen den Hinweis, dass es bei Schaltbefehlen, die über einen berührungsempfindlichen Bildschirm eingegeben werden, besonders wichtig ist, dem Nutzer in adäquater Form deutlich zu ma-chen, wie der “Schalter” zum Ein- oder Ausschalten des Geräts zu bedienen ist. Zum anderen zeigt ihm die E7, dass es sinnvoll ist, auch den Schaltvorgang als solchen zu illustrieren und damit zugleich mit grafischen Mitteln zu quittieren, so dass dem Nutzer angezeigt wird, ob er den Steuerbefehl korrekt gegeben hat.
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Die Übertragung dieser Maßnahme auf den Vorgang der Entsperrung der Benutzerschnittstelle eines Mobilgeräts war für den Fachmann naheliegend. So wie es beim Ein- und Ausschalten eines Gerätes durch einen virtuellen Schiebeschalter zur Bedienungssicherheit und freundlichkeit beiträgt, wenn auf dem Bildschirm angezeigt wird, ob der Schaltbefehl ausgeführt wird, wird bei einem Mobiltelefon, das wie das Neonode N1 durch eine bestimmte Berüh-rung des Bildschirms entsperrt werden kann, der Bedienungskomfort erhöht, wenn der Beginn und die weitere Ausführung des Entsperrbefehls optisch an-gezeigt werden.
Das demgegenüber von der Berufung vorgebrachte Argument, der Fachmann hätte den Schiebeschalter aus der E7 nicht herangezogen, weil von allen dort offenbarten virtuellen Schaltern die Darstellung eines Kippschalters (“rocket toggle”) und nicht die eines Schiebeschalters als hinsichtlich der Be-nutzerakzeptanz beste Lösung empfohlen wird, übersieht, dass Ausgangspunkt der Überlegungen des Fachmanns das aus der E14 bekannte Mobiltelefon Neonode N1 ist, bei dem die Entsperrung durch eine Wischbewegung auf dem berührungsempfindlichen Bildschirm erfolgt. Aus diesem Blickwinkel ist der Schiebeschalter gegenüber allen anderen in der E7 offenbarten virtuellen Schaltern von vorrangigem Interesse, weil allein bei diesem zum An- oder Aus-schalten eine der Wischbewegung entsprechende Schiebebewegung erforder-lich ist.
4. Dass die Nebenansprüche nicht anders zu beurteilen sind, hat das Patentgericht zutreffend und unangefochten ausgeführt.
IV. Auch die (im Urteil des Patentgerichts im Wortlaut wiedergegebenen) Hilfsanträge vermögen der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen.
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1. Die Hilfsanträge I bis III betreffen, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, lediglich Inhalt und Ausführung der grafischen Anzeige, mit der die Ausführung des Entsperrbefehls quittiert wird. Sie können deshalb erfinderi-sche Tätigkeit nicht begründen.
2. Die Hilfsanträge IV bis VII präzisieren die Bewegung des Entsperr-bildes dahingehend, dass diese “von einem Ursprungsort” entlang eines vorde-finierten angezeigten Pfades auf der berührungsempfindlichen Anzeigevorrich-tung erfolgen soll und ergänzen die Darstellung auf dem Bildschirm durch eine Rückkehr des Entsperrbildes zu dem Ursprungsort, wenn der Kontakt unterbro-chen wird, bevor die vorgegebene Fingerbewegung abgeschlossen ist. Dies betrifft zum einen wiederum die Darstellung der dem Benutzer gegebenen In-formation und ist deswegen für die erfinderische Tätigkeit irrelevant, und zum anderen sieht es die Quittierung eines begonnenen, aber nicht erfolgreich ab-geschlossenen Entsperrvorgangs vor; letzteres lehrt den Fachmann, wie ausge-führt, mit dem zurückspringenden Zeiger bereits die E7.
3. Die Hilfsanträge VIII bis XI fügen zum einen hinzu, dass mit der Ent-sperrung der Benutzerschnittstelle eine Anwendung angezeigt wird, die bereits vor Sperrung der Benutzerschnittstelle ausgeführt wurde, und sehen zum ande-ren vor, dass statt eines einzigen Entsperrbildes und Pfades zwei Entsperrbilder und Pfade vorgegeben werden, so dass der Benutzer mit der Entscheidung, welchen Entsperrbefehl er gibt, auch die Anwendung auswählt, die nach dem Entsperren angezeigt wird.
Auch die Merkmale dieser Hilfsanträge begründen keine erfinderische Tätigkeit. Bei einer Anwendung, die vor Sperrung der Benutzerschnittstelle ausgeführt wurde und die nach der Entsperrung möglichst unkompliziert wieder verfügbar sein soll, ist der Gedanke offensichtlich, diese nach der Entsperrung
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des Geräts wieder anzuzeigen. Ergibt sich bei zwei Anwendungen das prakti-sche Bedürfnis, dass nach der Entsperrung des Geräts jeweils nur eine Anwen-dung angezeigt wird, ist es nur konsequent, zwei unterschiedliche Entsperrbe-fehle vorzusehen, die nach erfolgreicher Entsperrung zum Start oder zur Wie-deranzeige nur einer Anwendung führen. Es liegt in der Natur der Sache, dass dies unterschiedliche Wischbewegungen erfordert, wenn der Steuerbefehl über den berührungsempfindlichen Bildschirm gegeben wird, und dass diese unter-schiedlichen Bewegungen sinnvollerweise auch unterschiedlich quittiert wer-den.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

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